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 Paestum 
Die Tempel von Paestum und ihr Verhältnis zum Licht. Von Carl Lamb.

Region:
Kampanien  
Provinz: Salerno

Lage auf Karte
Alle Bilder und der folgende Text stammen aus den Jahren 1940 und 1941 und wurden auch in dem Buch Nr. 170 der Insel-Bücherei "Die Tempel von Paestum" 1944 veröffentlicht.

Wer zum ersten Mal auf die Tempel von Paestum zuschreitet und von der Porta della Sirena aus die beiden Baukörper des Poseidontempels und der Basilika erblickt, ist sogleich im Bann einer Grundtatsache, nämlich ihrer Richtung - beide sind parallel nebeneinander gestellt (Bild 1) und schauen wie auch der Cerestempel nach Osten. Nicht alle griechischen Tempel jener Zeit haben aber die gleiche Richtung - in Agrigent zum Beispiel weichen verschiedene gegen Süd- oder Nordosten ab. Aus solchen Beobachtungen ergeben sich Fragen, die Heinrich Nissen in seinem Buche Orientation (Berlin 1906 bis 1910) entwickelt hat. Nach ihm sind die Achsen der griechischen Tempel auf bestimmte Stern- oder Sonnenaufgänge bezogen gewesen, welche kalendermäßig wichtige Einschnitte im Jahreslauf bezeichneten oder in die Festzeit der Gottheit fielen, welcher der Tempel gehörte. Gegenüber der älteren Richtung der Achsen nach Gestirnen gewinnt indessen mit dem Aufschwung, den der Tempelbau im 6. Jahrhundert nimmt, die Sonne alleinige Geltung.

Die im Monumentalbau festgelegte Beziehung zum Sonnenaufgang führte mich zu der Frage, ob nicht auch das künstlerische Verhältnis der griechischen Tempel zum Licht hierin begründet ist. Diese Frage verband sich mit einer zweiten, von Ludwig Curtius gelegentlich mündlich aufgeworfenen: War der griechische Tempel als ein im Unterschiede zu jeder späteren Architekturausschließlich im Außenraum wirksamer Freilichtbau in der Phantasie seiner Architekten für ein bestimmtes Licht entworfen?

Diese besondere Problemstellung war die Voraussetzung meiner Aufnahmen. Sie wurden zu verschiedenen Stunden des Tages und in verschiedenen Jahreszeiten durchgeführt und erwiesen, daß der stetige Wechsel der Erscheinungen des Bauwerkes im Tagesablauf für das Erfassen seiner künstlerischen Werte keine wesentliche Bedeutung hat, im vollen Gegensatz etwa zur Wirkung eines Innenraumes der Spätgotik oder des Barocks im Norden, wo das kreisende Licht in die künstlerische Gestaltung selbst einbezogen ist. Freilich wandelt sich der plastische Ausdruck des ganz nach außen bezogenen Tempelbaues, aber die Objektivität der Formensprache bleibt erhaben über jede malerische Umdeutung. Aus der Fülle dieser in den Tafeln nur zum Teil wiedergegebenen Verwandlungen im Lichte (22, 23, 32, 36) treten nun aber zwei Konstellationen hervor, unter denen diese Objektivität besonders streng gewahrt ist und erst in ihrer vollen Reinheit erklingt: unmittelbar nach dem Aufgang der Sonne oder kurz vor ihrem Untergang, wenn die Fronten nahezu schattenlos dastehen und die Bauten gleichsam von innen her erglühen (1, 3, 5, 21, 25, 27). Selbst die Kapitelle, das Gebälk, der Giebel sind erfüllt von Klarheit - jede Einzelheit zeigt sich da in ihrer kurze Zeit später oft im Schatten verlorenen Funktion. Die architektonische Komposition, von feinen Schattenlinien gleichsam an wichtigen Stellen nur unterstrichen, erscheint in vollkommen sichtbarem Zusammenwirken aller Teile.

Diese Beobachtung betrifft den ganzen Bau. Nur am Morgen oder am Abend erscheint auch der Triglyphenfries der Langseiten nicht von Schatten bedeckt (26, 29-31). Damit wird der Rhythmus der Längsfront mit seiner Zusammenziehung der Eckjoche und der dagegen spielenden feinen Verschiebungen der Triglyphen bis in die volle Höhe des Gebälkes einheitlich vom Licht belebt, während sonst nur die Säulenschäfte von ihm gestreift werden (22). Auch bei der Basilika gehört dieses tiefe Licht zum Charakter ihrer Formgebung (3, 10, 11). Das erweisen selbst Einzelheiten wie der Kranz von Rosetten und Palmetten an Kapitellen, deren bildhauerische Schönheit nur dann so recht hervortritt (12, 13). Schwierig war es, etwas von dem Verhältnis des Inneren der Tempel zum ersten Licht zu zeigen - beim Einblick in den Säulenumgang lassen sich die fehlende schattende Decke und die reflektierende Cellawand nicht ersetzen. Doch ist es bereits wesentlich, sich die Wirkung der Säulenflucht von innen zu diesem Zeitpunkt klarzumachen (10) oder vom Eingang der Cella des Poseidontempels aus beim Sonnenaufgang zwischen den Säulen des Cellavorraumes und der Vorhalle gegen Osten zu blicken (40, 41).

Der Unterschied des Wesens der älteren Basilika zum jüngeren Poseidontempel äußert sich unter anderem auch in einem verschiedenen Verhältnis der Kannelierung zur Beleuchtung. Dort flach aufgesetzte Stege (11), hier tief ausgehöhlte Mulden, die die Kraft des Lichtes zerstreuen, und messerscharfe Grate, die es sammeln.

Gerade hierbei fehlt freilich die Mitwirkung der Farbe des Stucküberzuges, welcher in verschiedenen Resten an Kapitellen (12), Säulen und Anten noch ein fein geglättetes Elfenbeinweiß zeigt. Die Schwarz-Weiß-Photographie vermag unsere Vorstellung auf die ursprünglich helle, weißgelbliche Gesamterscheinung der Tempel - die nur in der Zone des Gebälkes noch durch Farben (Blau, Rot, Schwarz) belebt waren - dann besonders hinzulenken, wenn sich die braungelbe oder graue Verwitterungsfarbe der Ruinen unter bestimmten Voraussetzungen im Bilde wenig geltend macht (1).

Aus der Cella des Poseidontempels geht der Blick in der Achse auf eine tiefe Einsenkung der Bergkette (39, 41). Das Kultbild im Inneren der fensterlosen Cella war durch die in der Achse liegende Tür verbunden mit dem vor der Ostfront stehenden Altar. Führte ein Bezug ähnlicher Art aber vielleicht noch über den Altar hinaus bis zu jenem Punkt am Horizont, an dem zu bestimmten Zeiten des Jahres die Sonne aufging, die dann in einem kurzen feierlichen Augenblick am Feste, das hier in der Nähe der Tagundnachtgleiche lag, durch die geöffnete hohe Tempeltüre das Götterbild beleuchtete? Bedeutete das Gegenüber von Gestirn und Bildsäule gleichsam einen Austausch von Strahlungskraft? Hatte vielleicht auch der Tempel und besonders sein Antlitz, die östliche Giebelfront, Anteil an dem geistigen Wesen eines derartigen Vorgangs? Wirkte die architektonische Gestaltung - und bei anderen Tempeln mit Giebelplastik auch die bildhauerische - mit Voraussetzungen solcher Art zusammen?

Die antike Überlieferung mit ihren gerade hier sehr großen Lücken erbringt wohl keine Antwort auf solche Fragen. Indessen zeigt bereits die in Paestum vorläufig gewonnene Anschauung, daß die Orientierung nach der Sonne das künstlerische Verhältnis der Tempel zum Lichte genau bestimmte: im Augenblick des Sonnenaufgangs gewinnt der Poseidontempel seinen klarsten Ausdruck, er tönt in einem reinen Akkord, der sich bald darauf unter dem Gewicht der zunehmenden Schatten verändert.

Angesichts des festlich aufglänzenden Tempels empfinden wir die besondere Weihe des ersten Lichtstrahls in der heiligen Frühe.

(Klicken Sie auf die Bilder um diese zu vergrößern.)



Poseidon-Tempel (1)

Poseidon-Tempel (2)

Basilika, Ostfront (3)

Basilika (4)

Basilika (5)

Basilika (6)

Basilika (7)

Basilika (8)

Basilika (9)

Basilika (10)

Basilika (11)

Basilika (12)

Basilika (13)

Ceres-Tempel (14)

Ceres-Tempel (15)

Ceres-Tempel (16)

Ceres-Tempel (17)

Ceres-Tempel (18)

Ceres-Tempel (19)

Ceres-Tempel (20)

Poseidon-Tempel (21)

Poseidon-Tempel (22)

Basilika und Poseidon-Tempel (23)

Basilika und Poseidon-Tempel (24)

Basilika und Poseidon-Tempel (25)

Poseidon-Tempel (26)

Poseidon-Tempel (27)

Poseidon-Tempel (28)

Poseidon-Tempel (29)

Poseidon-Tempel (30)

Poseidon-Tempel (31)

Poseidon-Tempel (32)

Poseidon-Tempel (33)

Poseidon-Tempel (34)

Poseidon-Tempel (35)

Poseidon-Tempel (36)

Poseidon-Tempel (37)

Poseidon-Tempel (38)

Poseidon-Tempel (39)

Poseidon-Tempel (40)

Poseidon-Tempel (41)

Grundrisse (42)